Hilfe, die gebraucht wird und ankommt
Geraten Gesellschaften und Volkswirtschaften in eine Krise, dann sind vor allem die betroffen, deren Lebensverhältnisse unter materieller Not leiden. Und oftmals löst dies Impulse aus, die gut gemeint sind und zu Taten führen, die die Lebenswirklichkeit jedoch außer Acht lassen. Seit der vergangenen Woche gibt es immer wieder für kurze Zeit Gabenzäune in der Hospitalstraße. Mitarbeiter der Stadt entfernen die oftmals anonym aufgehängten Gaben, in den sozialen Medien kommt das teilweise nicht gut an. Hilfe die gebraucht wird und ankommt. Foto: Anne Olschewski (Foodsharing/links) bringt die Essenspakete ins Walter-Adlhoch-Haus. Von dort aus übernehmen Jessica Magnus (Stadt Limburg) und Michael Friedrich (Walter-Adlhoch-Haus) die Verteilung.
„Bleibt zu Hause“, das ist die alltägliche Aufforderung in der Zeit, in der sich das Coronavirus ausbreitet. Zu Hause bleiben, damit die Ausbreitung verlangsamt wird. Und wer kein zu Hause hat? Oder nur eine Behelfswohnung, eine Notunterkunft oder gar Straße und Plätze sein zu Hause nennt? „Das ist eine riesengroße Herausforderung für die Betroffenen und für uns alle, die wir für diese Menschen im Einsatz sind“, sagt Harry Fenzl als Leiter des Walter-Adlhoch-Hauses, der Einrichtung der Caritas für Wohnsitzlose. Vorratshaltung, Rückzugsmöglichkeiten, steigende Hygienestandards, das kommt für die betroffenen Männer und Frauen nur schwerlich infrage.
Aber wer in Limburg als wohnsitzlos geführt wird, hat dennoch ein Dach über dem Kopf. Das Adlhoch-Haus bietet Platz für 20 Männer. Die Stadt stellt in ihrer Einrichtung in der Rudolf-Schuy-Straße insgesamt 38 Plätze zur Verfügung, weitere Unterkünfte gibt es in der Brückengasse, in der Ste.-Foy-Straße und in Einzelwohnungen, die im Stadtgebiet verteilt sind, berichtet Jessica Magnus, die sich als Sozialarbeiterin im Ordnungsamt der Stadt für Wohnsitzlose engagiert. „Die Versorgung mit Unterkünften und Lebensmitteln ist gesichert“, betont sie. Gesichert, auch wenn Einrichtungen wie das Lädchen inzwischen geschlossen haben oder auch die Ausgabe einer Mittagsverpflegung zwei Mal die Woche nur noch für Bewohner des Walter-Adlhoch-Hauses stattfindet und nicht mehr an einen offenen Kreis richtet.
„Wir stellen uns unserer Verantwortung“, macht Limburgs 1. Stadtrat Michael Stanke deutlich. Die hohe Zentralität Limburgs innerhalb der Region spiegele sich nicht nur bei Schulen, Handel und Wirtschaft, sondern auch dort, wo das Leben nicht mehr glänzt. „Wir haben dazugelernt und in den vergangenen Jahren unser Angebot an Unterkünften und Betreuung stetig verbessert“, so Stanke. Die Situation in der Stadt würde sich nach seiner Einschätzung entspannen, wenn auch umliegende Kommunen ihrer Verpflichtung von Notunterbringung vor Ort besser nachkommen würden.
Die auftretenden Lücken der Versorgung werden in Limburg geschlossen. Michael Friedrich, Mitarbeiter des Walter-Adlhoch-Hauses, und Jessica Magnus sind täglich nachmittags vor Ort, um Post und Lebensmittel der Foodsharer zu verteilen. Zugleich stehen beide als Ansprechpartner zur Verfügung, beantworten Fragen und versuchen für die Thematik Coronavirus zu sensibilisieren. Der direkte Kontakt dient auch dazu, um möglichst viele der Bewohner zu treffen, um zu erkennen, ob jemand Symptome zeigt. Und wie in fast allen Bevölkerungskreisen gibt es Frauen und Männer, die sehr bemüht und interessiert sind, andere zeigen sich wenig einsichtig.
Auf die Möglichkeit des Foodsharings werden obdachlose Menschen und die Menschen, die in dieser „Szene“ verkehren, über das Walter-Adlhoch-Haus und seine Mitarbeiter/innen gezielt angesprochen, bei den von der Stadt untergebrachten oder begleiteten Personen übernimmt Jessica Magnus diese Aufgabe. Sie werden in den Gesprächen nicht nur dazu eingeladen, sich für das Foodsharing anzumelden, sondern noch Menschen aus ihrem Umfeld darauf hinzuweisen, die dann entweder beliefert werden oder sich das Essen an einem vereinbarten Treffpunkt abholen können.
Mit dem Foodsharing ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die Tüten von Helferinnen und Helfern gepackt wurden, die hygienische Mindeststandards einhalten. Dafür spricht jahrelange Erfahrung im Bereich Foodsharing, so Jessica Magnus. Auch sei die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die Hilfe da ankommt, wo sie benötigt und erwünscht ist. Menschen, die mit Nahrungsmitteln bedacht werden, haben die Möglichkeit, sich ihrerseits der Foodshare-Gemeinschaft anzugliedern und auf diese Weise gegebenenfalls ein Ehrenamt in einem gesellschaftlich anerkannten Bereich auszuüben. Foodsharing Limburg, Diez und Umgebung gibt es seit rund drei Jahren. Bei der Verteilung und Bestückung der Tüten, die vom Walter-Adlhoch-Haus und Jessica Magnus verteilt werden, ist auch der Willkommenskreis Diez mit eingebunden.
Anonym bestückte Gabenzäune sind für die Mitarbeiterin der Stadt und ihre Kollegen vom Adlhoch-Haus nicht der geeignete Weg der Hilfe. Zum einen werden aus den Nutzern reine Almosenempfänger, die sozusagen eine „milde Gabe“ von anderen Privatpersonen erhalten. Und durch das Abholen der Gaben von einem Zaun werde die Bedürftigkeit zudem zu einem öffentlichen Akt. Auch gibt es bei einem Gabenzaun keine Möglichkeit der Kontrolle, so ein weiterer Einwand. Obdachlose Menschen würden immer wieder Opfer von Übergriffen. Nicht nur in Zeiten mit dem Coronavirus ist es wichtig, Hygienestandards beim Verpacken der Ware einzuhalten und dafür zu sorgen, dass die Tüten nicht durch zu viele Hände gereicht werden. Dies kann bei einem Gabenzaun nicht gewährleistet werden, so Jessica Magnus.
„Straßenobdachlosigkeit ist in Limburg aufgrund der guten Kooperation aller Beteiligten nahezu beseitigt“, verdeutlicht Harry Fenzl. Wer also feststellt, dass es 120 Obdachlose in Limburg gibt, so zu lesen auf einem Facebook-Post, der den Gabenzaun in der Hospitalstraße begleitete, verkenne dabei, dass diese Menschen in der Regel eine Bleibe haben und grundversorgt sind. Nach Angaben von Fenzl haben Jobcenter und das Sozialamt des Kreises auch auf die besondere Herausforderung durch das Coronavirus reagiert und unbürokratische Zahlungen und den Verzicht auf Sanktionen versprochen. Auch wurden die Tagesatzauszahlungen für Menschen ohne festen Wohnsitz vom Jobcenter aus monatliche Auszahlungen umgestellt.
Dennoch haben das Virus und die Schutzmaßnahmen vor einer schnellen Ausbreitung erhebliche Konsequenzen für die Menschen ohne festen Wohnsitz. Die Tagesstätte im Adlhoch-Haus gibt es derzeit nicht, Duschen in der Einrichtung wird nur im Bedarfsfall ermöglicht, die ambulante Fachberatung hat auf Telefon und Online umgestellt und einiges mehr.
„Problematisch wird das Ganze im Falle einer angeordneten Quarantäne, dann sitzen bis zu 30 Männer in unterschiedlichen Problemlagen in der Unterkunft zusammen, die kaum Ausweichmöglichkeiten bietet“, beschreibt Jessica Magnus ein Szenario, von dem sie hofft, dass es nicht eintritt. Und für den Quarantänefall werden dann wirklich noch Sachen benötigt, die derzeit noch nicht ausreichend vorhanden sind: Haltbare Lebensmittel und Getränke, aber auch Gesellschaftsspiele für Erwachsene, ein Fernseher und ein DVD-Player wären auch nicht schlecht. Abgegeben werden können solche Dinge nach telefonischer Absprache unter (06431) 203270. Jessica Magnus ist derzeit ab 14 Uhr bis in den späten Abend hinein erreichbar.
Vorsorge treffen, das ist auch für Harry Fenzl ein wichtiges Thema. Froh ist er darüber, dass es im ehemaligen Pfarrhaus von St. Marien möglich ist, das „Pufferräume“ einzurichten, um die Situation im Adlhoch-Haus etwas zu entspannen. Und auch die Stadt hat Vorkehrungen getroffen und mit zwei Hotels verabredet, Zimmer im Notfall belegen zu können.