„Eltern haften für ihre Kinder“. Hinweis-Schilder mit dieser Aufschrift kennt fast jeder. Ist diese Aussage aber pauschal so richtig? Haftet der Aufsichtspflichtige, wenn Kinder beim Fahrradfahren zu dicht an geparkte Autos geraten und Schäden in Höhe von fast 8.000 € verursachen? Mit dieser Frage hatte sich die 13. Zivilkammer im Rahmen einer Berufung zu befassen.
Zwei Kinder im Alter von 6 und 7 Jahren waren am Schadentag mit ihren Fahrrädern zu einem nahegelegen Spielplatz unterwegs. Dabei fuhren sie auf Anweisung ihrer Eltern auf der wenig befahrenen Straße und nicht auf dem Gehweg. Bei einem Wettrennen zum Spielplatz touchierten sie mehrere parkende Autos, wobei ein Schaden in Höhe von fast 8.000 € entstand, weil die Gummiüberzüge an den Griffenden der Fahrräder fehlten bzw. defekt waren. Bei der Klägerin handelt es sich um ein Versicherungsunternehmen, welches die Schäden an den Fahrzeugen ersetzt hatte.
Sie nahm nun die Beklagte, die am Schadentag die Aufsicht über die beiden Kinder ausübte, in Regress und reichte wegen des hälftigen Betrages Klage beim Amtsgericht ein. Die Klägerin war der Auffassung, die Beklagte habe ihre Aufsichtspflicht verletzt, da sie die beiden Kinder unbeaufsichtigt Fahrrad habe fahren lassen. Die Kinder seien falsch instruiert worden, weil gemäß § 2 Abs. 5 Straßenverkehrsordnung (StVO) Kinder bis zur Vollendung des achten Lebensjahres mit Fahrrädern zwingend den Gehweg benutzen müssten. Die Fahrräder seien auch nicht ordnungsgemäß mit Gummistopfen ausgestattet gewesen. Die Beklagte hielt entgegen, den Kindern sei der Weg zum Spielplatz bekannt gewesen, sie seien über die Gefahren des Straßenverkehrs aufgeklärt und darüber informiert worden, wie sie sich zu verhalten hätten. Die Kinder seien auch in regelmäßigen Abständen beobachtet worden. Das Amtsgericht wies die Klage ab, die Beklagte habe ihrer Aufsichtspflicht genügt. Die Kinder, so das Amtsgericht, hätten sich mit 6 und 7 Jahren in einem Alter befunden, in welchem diese an die Teilnahme am Straßenverkehr hätten herangeführt werden sollen. Die Beweisaufnahme habe bestätigt, dass die Kinder die örtlichen Begebenheiten gekannt hätten und im Rahmen der Verkehrserziehung in Kindergarten und Schule über die richtigen Verhaltensweisen aufgeklärt worden seien. Die Schäden wären auch dann entstanden, wenn die Kinder lediglich den Gehwegbereich befahren hätten. Im Übrigen gehörten, so das Amtsgericht weiter, Gummistopfen an den Lenkerenden nicht zur erforderlichen Ausstattung eines Fahrrades.
Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung ein. Ohne Erfolg, so die 13. Zivilkammer des Landgerichts. Das Maß der gebotenen Aufsicht bei Minderjährigen – so der Hinweisbeschluss der Kammer – richte sich u.a. nach deren Alter, Eigenart und Charakter des Kindes, seinem örtlichen Umfeld, dem Ausmaß der drohenden Gefahren, der Vorhersehbarkeit des schädigenden Verhaltens sowie der Zumutbarkeit für den Aufsichtspflichtigen. Zu berücksichtigen sei dabei, dass Kinder erfahrungsgemäß dazu neigten, Vorschriften und Anordnungen zu missachten und sich unbesonnen zu verhalten, andererseits das Ziel bestehe, sie zu selbständigem und selbstverantwortlichem Handeln zu erziehen. Gemessen daran, so die Kammer weiter, könne der Beklagten vorliegend eine Aufsichtspflichtverletzung nicht vorgeworfen werden. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass die beiden Schulkinder eine ihnen bekannte, wenig befahrene Straße zu einem nahegelegenen Spielplatz befahren hätten, eine Verkehrserziehung bereits erfolgt und die
Beobachtung durch die Beklagte gewährleistet gewesen sei. Auf § 2 Abs. 5 StVO könne sich die Klägerin nicht berufen, da die Vorschrift nicht bezwecke, Dritte vor Schäden durch Kinder zu bewahren, sondern lediglich dem Schutz fahrradfahrender Kinder vor schnelleren Verkehrsteilnehmern diene. Eine Verpflichtung, nur mit intakten Gummistopfen an den Lenkerenden Fahrrad zu fahren, existiere ebenfalls nicht. Die Schäden beruhten letztlich auf dem eigenmächtigen Entschluss der Kinder, ein „verkehrswidriges“ Wettrennen zu veranstalten. Die Klägerin nahm nach diesen Hinweisen die Berufung zurück. Die Entscheidung des Amtsgerichts ist damit rechtskräftig.