Höhr-Grenzhausen: Opus 45, Roman Knižka und Schülerinnen verbeugen sich mit musikalischer Lesung vor den Opfern aus Theresienstadt
Westerwaldkreis. Für die Nazis ist das Ghetto Theresienstadt damals eine Art Vorzeige-Konzentrationslager. Ein Ort der Kultur, in dem es sich gut aushalten lässt, behauptet die NS-Propaganda. Die Gefangenen nennen Theresienstadt damals den Vorhof zur Hölle. Viele der fast 150.000 Internierten sterben dort oder werden ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Kaum vorstellbar, dass an einem solchen Ort Schönes entstehen kann. In Höhr-Grenzhausen präsentieren das Ensemble Opus 45 und der Schauspieler Roman Knižka Musik und Texte von Gefangenen des Lagers. Den Profis zur Seite stehen dabei rund 30 Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums im Kannenbäckerland.
„Ich wand’re durch Theresienstadt“. So nennt sich die einzigartige Mixtur aus Musik, Texten und Performance, die das Ensemble in der voll besetzten Aula der Ernst-Barlach-Realschule zeigt – leider ohne die angekündigte Zeitzeugin Edith Erbrich, die aus gesundheitlichen Gründen nicht vor Ort sein konnte. „Es geht um die jungen Menschen, die in Theresienstadt gelebt haben, die Texte darüber verfasst haben, was ihnen im Leben wichtig ist. Und die dieses Leben dort verloren haben“, erklärt Dramaturgin Kathrin Liebhäuser. „Das Programm will die Brücke zu den jungen Menschen von heute schlagen – auf eine sinnliche und emotionale Weise.“ Kathrin Liebhäuser möchte, dass das Programm den Menschen von damals, aber auch den jungen Leuten von heute eine Stimme gibt.
Damit die Stimmen der 30 Schülerinnen und Schüler angemessen wahrgenommen werden, geht dem abendlichen Konzert ein Workshop am Morgen voraus. Zunächst zeigt die Dramaturgin den Jugendlichen kreative Schreibtechniken, um das in Worte zu fassen, was sie umtreibt. Einige dieser Texte wird Schauspieler Roman Knižka am Abend vortragen.
Im zweiten Teil des Workshops formt Knižka die Jugendlichen zu einem Chor, der Passagen aus der Kinderoper „Brundibàr“ rezitiert. „Brundibàr“ wurde damals im KZ Theresienstadt von Kindern aufgeführt. Zunächst fällt es den Wäller Schülern schwer, sich auf diese neue Rolle einzulassen. Doch dem Schauspieler gelingt es, die Stimmen und das Auftreten zu schärfen. Am Ende der Probe schreit die Gruppe den Triumph gegen den Tyrannen „Brundibàr“ selbstbewusst heraus.
Einige Stunden später beginnt das Konzert in der Aula. Die Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde Höhr-Grenzhausen bringt während ihrer Begrüßung das Anliegen des Abends auf den Punkt: „Wir wollen den Menschen ihre Geschichte und damit auch ihre Würde zurückgeben“, sagt Monika Christ. Denn das, was die Menschen dort erleben mussten, ist an Würdelosigkeit kaum zu überbieten.
Und doch geben sich die Internierten in Theresienstadt nicht auf und holen sich ihre Würde zurück: durch Musik, Gedichte, Geschichten. Das Ensemble Opus 45 spielt fast ausschließlich Werke von Komponisten, die in Theresienstadt „gelebt“ und dort komponiert haben; auf alten Klavieren, auf einem kaputten Harmonium, aus dem Kopf. „Schön“ sind diese Stücke im klassischen Sinne nicht; die Nazis hätten diese Musik damals wohl „entartet“ genannt. Harmonien lösen sich selten auf; die Rhythmik wirkt oft rastlos, die Tonsprache spröde; andere Klänge sind traurig und schwer wie Blei. Aber trotzdem – oder gerade deswegen – sind die Werke so intensiv. Es bedarf eines professionellen Ensembles wie Opus 45, die komplexe Klangkunst in all ihrer Tiefe wiederzugeben und nicht nur technisch akkurat zu reproduzieren.
Auch Roman Knižka beweist ein großes Gespür für die Texte, die er vorträgt. Er taumelt, während er von Häftlingen erzählt, die einen ganzen Tag lang auf einem Feld stillstehen müssen. Dann gibt er den herrischen Aufseher derart überzeugend, dass selbst die Musiker von Opus 45 zusammenzucken. Und manchmal spricht er Dinge bewusst nicht aus – sondern lässt die Stille wirken: „Die Kinder wurden von Theresienstadt deportiert und sofort nach ihrer Ankunft …“
Schließlich die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums im Kannenbäckerland: Sie spielen an diesem Abend eine besondere Rolle. Nicht nur während ihres einstudierten Auftritts, an dessen Ende sie die Namen ihrer ermordeten Altersgenossen in die Höhe halten. Sondern auch wegen der Gedichte, die sie am Morgen verfasst haben. Es sind Wünsche und Fragen an das Leben, von Roman Knižka einfühlsam mit den Tagebucheinträgen und Erzählungen der jungen Theresienstadt-Insassen verwoben.
Am Ende des Konzerts sind die jungen Menschen froh, ein Teil dieses besonderen Tags gewesen zu sein. Zum Beispiel die 15-jährige Lilli. „Es war wichtig, dass wir miteinbezogen wurden. Denn ich finde es schwer, mich in die Situation in Theresienstadt hineinzudenken. Ich würde es gerne verstehen. Aber unser Leben ist so völlig anders.“ Auch der 16-jährige Henri ist bewegt: „Als ich mit meinen Mitschülerinnen und Mitschülern auf die Bühne ging, empfand ich ein Gefühl von Demut und Stolz – dafür, dass wir diejenigen vertreten, die wegen ihrer Religion ermordet wurden.“ Ein Abend als würdevolle Verbeugung vor den Menschen und der Kunst, die dem Unrecht zum Opfer gefallen sind. (bon) (Quelle Evangl. Dekanat WW)