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Am 14.07.2023 jährt sich die Flutkatastrophe an der Ahr zum zweiten Mal. Seit annähernd zwei Jahren führt die Staatsanwaltschaft Koblenz ein Ermittlungsverfahren gegen den seinerzeitigen Landrat des Landkreises Ahrweiler und den damaligen Leiter der Technischen Einsatzleitung (TEL) wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung.

Im Fokus steht die Frage, ob durch ein anderes Handeln der Beschuldigten diese schrecklichen Folgen zumindest teilweise hätten vermieden werden können.

1.

Das in Zusammenarbeit mit dem Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz eingeleitete Ermittlungsverfahren zählt zu den aufwändigsten Verfahren, die die Staatsanwaltschaft Koblenz bislang geführt hat.

Zeitweise waren deutlich mehr als 100 Polizeibeamte in die Ermittlungen eingebunden. Eine Oberstaatsanwältin ist nahezu vollständig von anderen Aufgaben freigestellt, um sich nur diesem Verfahren widmen zu können. Allein die Hauptakten umfassen etwa 10.000 Blatt, hinzukommen zahlreiche Sonderbände. Im Rahmen der Ermittlungen wurden mehr als 200 Zeugen vernommen, ca. 15.000 Notrufe mussten gesichtet, mehr als 6.000 davon im Einzelnen ausgewertet werden. Die gesicherten Daten (Notrufe, Einsatzleitsystem und Einsatzverlaufsdaten der Polizei, Daten des Lagezentrums im MdI) umfassen mehr als 26 Terabyte und mussten gesichtet und teilweise ausgewertet werden, um die Kommunikationsverläufe in der Katastrophennacht zu rekonstruieren. Es wurden Durchsuchungen bei den Beschuldigten sowie umfangreiche Sicherstellungen bei Verwaltungsbehörden und Feuerwehren durchgeführt, die auszuwerten waren. Hinzu kommen die Auswertung zahlreicher Videos, u.a. von Hubschraubern, sowie die Anfertigung einer aufwändigen Visualisierung des Flutgeschehens mittels eines entsprechenden Computerprogramms anhand der sichergestellten Daten.

2.

Zunächst galt es, den Flutverlauf und den Einsatz der verschiedenen Rettungskräfte zu rekonstruieren. Im Zuge dessen wurde auch untersucht, wie die verstorbenen Menschen zu Tode gekommen sind, was in vielen Fällen leider nicht mehr im Einzelnen aufzuklären war.

Ein besonderes Augenmerk galt hierbei auch den traurigen Geschehnissen um die Betreuungseinrichtung in Sinzig, in der 12 Menschen ums Leben gekommen sind.

3.

Untersucht wurde sodann das konkrete Handeln der Beschuldigten am Tag der Flut und in der Flutnacht.

Die entscheidende Fragestellung besteht darin zu klären, ob es

a. den Beschuldigten möglich gewesen wäre, durch bestimmte konkrete Handlungen den Ereignisverlauf zu verändern, und

b. dadurch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestimmte Personen vor dem Tod oder vor körperlichem Schaden bewahrt worden wären.

Hierbei sind die konkreten subjektiven Kenntnisse und Fähigkeiten der Beschuldigten zugrunde zu legen. Sollten die in der Situation erforderlichen Kenntnisse gefehlt haben, so ist zu fragen, ob die Beschuldigten es möglicherweise pflichtwidrig unterlassen hatten, sich diese Kenntnisse zu verschaffen, die sie dann zu einem anderen Handeln befähigt hätten.

4.

Die Ermittlungen sind – nach derzeitigem Stand – weitgehend abgeschlossen. Im Rahmen der Auswertung der ermittelten Erkenntnisse und Daten ist jedoch deutlich geworden, dass ein weiteres Sachverständigengutachten erforderlich ist zu der Frage, ob und ggfls. welche zielführenden Handlungsoptionen nach Katastrophenschutz- und Krisenmanagementstandards für die Technische Einsatzleitung (TEL) bestanden haben.

Mit der Begutachtung beauftragt wurde ein auch bereits im Untersuchungsausschuss des Landtags gehörter Katastrophenschutz- und Krisenmanagementwissenschaftler.

Hierbei soll geklärt werden, welche konkreten Handlungsoptionen die Beschuldigten angesichts der vorgefundenen Gesamtumstände und bei Zugrundelegung ihres subjektiven Kenntnisstandes überhaupt noch hatten.

Weiter soll geklärt werden, ob die Beschuldigten sich im unmittelbaren zeitlichen Vorfeld der Flut aufgrund der Wetter- und Niederschlagsprognosen ausreichende Kenntnisse und Informationen hätten beschaffen können, durch die es ihnen möglich gewesen wäre, vor und während der Flut konkrete Maßnahmen vorzunehmen oder anzuordnen, die Schaden abgewendet hätten.

Schließlich soll sich das Gutachten zu der Frage verhalten, wie das Katastrophenschutz- und Krisenmanagement nach wissenschaftlich fundierten Standards hätte organisiert sein müssen, und ob es in diesem Fall der TEL möglich gewesen wäre, den Ereignisverlauf zu verändern und konkrete Schadenseintritte abzuwenden.

Bei alledem ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Flut nach derzeitigen Ermittlungsstand um kein Hochwasser im üblichen Sinne, sondern um eine extreme Sturzflut mit mehreren schwallartigen Flutwellen gehandelt hat.

Der Sachverständige ist bestrebt, sein Gutachten bis Oktober 2023 vorzulegen. (Quelle Staatskanzlei Mainz)