Scheidender Präses: „Kirche muss schneller mutige Entscheidungen treffen“
Interview: Bernhard Nothdurft war acht Jahre im Leitungsteam des Dekanats – Täglich mehrere Stunden ehrenamtlich investiert – „Dem Amt wird zu viel zugemutet“
Westerwaldkreis. Zahlen, Daten, Fakten: Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2014 orientiert sich Bernhard Nothdurft eher an den „Facts“ als am Bauchgefühl. Für einen kirchlich engagierten Ehrenamtlichen klingt das im ersten Moment ungewöhnlich. Aber sie passt zu dem Mann, der Anglizismen liebt und der nun mit 75 Lenzen sein Amt als Präses im Evangelischen Dekanat Westerwald im Guten niederlegt. Denn Bernhard Nothdurft ist gelernter Bankkaufmann und hat lange als Schulungsleiter und IT-Experte für ein großes US-Unternehmen gearbeitet. Währenddessen hat er gelernt, auf Zahlen zu hören, Daten auszuwerten, den Fakten zu vertrauen. Aber nicht nur denen. Denn das Fundament seines Engagements im Dekanat und im Kirchenvorstand seiner Gemeinde in Neunkirchen ist sein christlicher Glaube. Nach acht Jahren tritt er bei der kommenden Präses-Wahl im Januar nicht erneut an. Vor seinem Abschied blickt er auf seine anstrengende, aber bereichernde Dienstzeit zurück und wünscht sich, dass die Evangelische Kirche künftig mutige Entscheidungen trifft.
Bernhard Nothdurft, sie waren im Leitungsteam des flächenmäßig zweitgrößten Kirchenkreises unserer Landeskirche aktiv – ehrenamtlich, wohlgemerkt. Schon mal nachgerechnet, wie viele Stunden Sie in diese Arbeit investiert haben?
Bernhard Nothdurft: Ich mag das gar nicht zählen. Konservativ geschätzt waren das täglich ungefähr drei Stunden. Allerdings nicht nur als Präses, sondern auch beispielsweise im Kirchenvorstand meiner Gemeinde oder als Vorstandsmitglied der kirchlichen Regionalverwaltung. Aber es geht mir gut damit. Denn die Tätigkeit als Präses hat mich fit gehalten. Wenn ich in meinem Ruhestand nur vor dem Fernseher gesessen hätte, würde ich mich geistig sicher nicht so frisch fühlen wie heute.
Insgesamt fast 8000 Stunden im kirchlichen Ehrenamt. Warum haben Sie so viel Zeit geopfert?
Ich mache das aus einer christlichen Motivation heraus. Ich war immer eng mit der Evangelischen Kirche Neunkirchen verbunden: Meine Tochter wurde dort getauft, ich hatte engen und freundschaftlichen Kontakt zu den Pfarrpersonen … so etwas verbindet. Als mich der damalige Dekan Martin Fries gefragt hat, ob ich Präses werden möchte, wusste ich aber noch nicht, was auf mich zukommt. Die Stellenbeschreibung kratzt letztlich nur an der Oberfläche dessen, was ein Präses tut.
Was ist Ihnen denn besonders in Erinnerung geblieben?
Das größte Projekt meiner Amtszeit war natürlich der Zusammenschluss der ehemaligen Dekanate Bad Marienberg und Selters zum neuen Evangelischen Dekanat Westerwald und der Umzug in unseren neuen Amtssitz in Westerburg. Zwei Kirchenkreise mit eigenen, gewachsenen Strukturen und unterschiedlichen Charakteren zusammenzubringen, war und ist eine große und nicht immer leichte Aufgabe. Das hat lange gedauert, und vieles musste moderiert werden. Aber die Zeit und der Aufwand waren nötig. Denn sonst würde es die gute Zusammenarbeit, die sich gerade in den vergangenen Monaten etabliert hat, so nicht gegeben.
Sie spielen auf die anstrengenden Momente Ihrer Amtszeit an. Was muss passieren, damit Ehrenamtlich tätige Menschen wie Sie in solchen Zeiten gestärkt werden?
Zunächst einmal: Das Amt des Präses ist aus der Ehrenamtlichkeit nicht wegzudenken. Ein Präses sollte weiterhin zu Dekanatssynoden einladen, diese organisieren und leiten. Und er oder sie sollte die Evangelische Kirche der Region in der Öffentlichkeit repräsentieren. Aber für das tägliche business, also Verwaltungs-, Rechts- und Personalfragen, sollte es unbedingt einen hauptamtlichen Verwaltungsfachmann oder eine -fachfrau geben. Was das angeht, wird einem ehrenamtlichen Präses oft zu viel zugemutet, denn viele Entscheidungen, die getroffen werden müssen, sind juristisch sehr komplex und bedeuten eine große Verantwortung. Die Kirche sollte dringend eine Stelle schaffen, die sich nur um diese Dinge kümmert. Schließlich wird die Auswahl derer, die in ihrer Freizeit Verantwortung in solch einem Amt übernehmen wollen, immer kleiner. Das liegt vielleicht aber auch daran, wie Kirche wahrgenommen wird.
Wie wird Kirche Ihrer Ansicht nach denn wahrgenommen?
Ich befürchte: in der Weihnachtszeit fast gar nicht mehr. Es geht doch inzwischen nur noch um Konsum, und wenn dann wegen der Corona-Pandemie auch noch vieles nicht wie gewohnt stattfinden kann, mache ich mir Sorgen. Dabei ist die Evangelische Kirche so viel: Sie ist Verkünderin des Evangeliums; sie ist aber auch Diakonie und hilft Menschen, denen es richtig dreckig geht. Sie betreut Schulen, Krankenhäuser, Kindertagesstätten. Wenn wir uns die Kirche mal wegdenken: Wer würde sich um all diese Dinge denn kümmern? Kirche hat einen value; sie ist wichtig für unsere Gesellschaft und für die Menschen. Zudem stellt sich wohl jeder die Sinnfragen. Die Kirche darf nicht verlernen, auf diese Fragen zeitgemäß und trotzdem zeitlos zu antworten. Und zwar in einer leicht verständlichen Sprache und lebensnahen Gottesdiensten.
Glauben Sie, dass die Kirche diese Erwartungen erfüllen kann?
Wenn sie den Mut hat, Klartext zu reden und schnelle, gute Entscheidungen zu treffen, dann ja. Klartext bedeutet: Es ist künftig eben nicht mehr möglich, jedes Gemeindehaus zu halten, und es wird nicht jede Woche an jedem Ort im Westerwald einen evangelischen Gottesdienst geben. Das lassen die aktuellen Pfarrer- und Mitgliederzahlen nicht mehr zu. Dann doch lieber ein gut geplanter, großer Gottesdienst, der zwar nicht jede Woche gefeiert wird, aber bei dem die Leute sagen: „Wow – der hat mich tief bewegt!“. Es geht darum, Kirche jetzt neu zu gestalten mit den Möglichkeiten, die wir haben. Und es geht darum, diese Entscheidungen schnell umzusetzen.
Entscheidet Kirche denn zu langsam?
In der Evangelischen Kirche sollen immer möglichst viele Menschen „mitgenommen“ werden. Dieses Miteinbeziehen vieler ist einerseits eine Qualität unserer Kirche, führt aber auch zu Problemen. Ich habe während meiner Amtszeit immer wieder erlebt, dass sich Prozesse deswegen verzögern. Das ist ein furchtbarer waste of time und bedeutet auch für die Ehrenamtlichen einen immensen Zeitaufwand. Die Evangelische Kirche muss Entscheidungen
schneller treffen. Natürlich transparent. Aber ohne zu zaudern.
Zum Abschluss: Was wünschen Sie Ihrer Nachfolgerin oder Ihrem Nachfolger?
Dass er oder sie zuhört, was die Menschen sagen, ein gutes Händchen beim Abwägen hat und dass der Mut da ist, gute, aber auch schnelle Entscheidungen zu treffen.
Das Interview führte Peter Bongard
Im Detail: Fast acht Jahre als Präses im Amt
Bernhard Nothdurft war ab 2014 zunächst Präses des ehemaligen Dekanats Bad Marienberg, seit der Vereinigung des Dekanats mit dem Nachbardekanat Selters dann bis Januar 2022 Präses des neu gegründeten Evangelischen Dekanats Westerwald. „Präses“ ist streng genommen nur die umgangssprachliche Bezeichnung dieses Amtes, das korrekterweise „Vorsitzender des Dekanatssynodalvorstands“ heißt. Der Dekanatssynodalvorstand (DSV) ist ein Gremium und vertritt das Dekanat (also den „Kirchenkreis“) nach außen. Das regionale Kirchenparlament ist die Dekanatssynode: Sie setzt sich aus gewählten Mitgliedern der Pfarrerschaft und Kirchenvorstandmitgliedern aller Gemeinden zusammen. Der DSV ist das geschäftsführende Organ der Synode und setzt deren Beschlüsse um. Der Präses leitet die zweimal jährlich stattfindenden Tagungen der Dekanatssynode, in denen wichtige Entscheidungen für das Dekanat und somit die Weichen für das evangelische Leben im Westerwald gestellt werden. Das Evangelische Dekanat Westerwald umfasst rund 54000 Menschen in 27 Kirchengemeinden und ist das flächenmäßig zweitgrößte der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. (bon) (Quelle Evangelisches Dekanat WW)