Kreis Altenkirchen. Wenn Theorie auf Praxis trifft, muss das nicht zwingend zu einem gegenseitigen Kulturschock führen. Bestes Beispiel für das genaue Gegenteil ist die Zukunftswerkstatt der Universität Siegen. Ziel und Aufgabe ist es, den Studierenden Einblicke in die Arbeits- und vor allem Denkweise heimischer Unternehmen zu verschaffen. In Praxisseminaren wird der akademische Nachwuchs mit dem betrieblichen Alltag außerhalb der Hörsäle vertraut gemacht. Es eröffnen sich nicht nur für die Studierenden neue Perspektive, vielmehr werden durch den Input oft auch die Betriebe dazu ermutigt, den alten Slogan „Haben wir schon immer so gemacht“ zu hinterfragen.
Zum dritten Mal war im Wintersemester 2023/24 der Landkreis Altenkirchen über seine Wirtschaftsförderung mit dabei. Diesmal beteiligten sich die Sparkasse Westerwald-Sieg und die Fa. Bellersheim (Neitersen) an der Zukunftswerkstatt. Bei dem Ver- und Entsorgungsunternehmen fand jetzt auch die Abschlussveranstaltung statt, bei der die Teilnehmenden von Landrat Dr. Peter Enders und Wirtschaftsförderer Lars Kober ihre Urkunden erhielten. Zuvor war deutlich geworden, dass die Studierenden aus der Zukunftswerkstatt eines mitgenommen haben: die Erkenntnis, dass es durchaus einen Unterschied macht, ob man in einem Großkonzern oder in einem inhabergeführten Familienunternehmen arbeitet.
Nicht umsonst war in der Begrüßung von Geschäftsführer Thomas Bellersheim von Familie und Tradition die Rede. Aber: „Tradition allein hilft nicht für die Zukunft.“ Auch bei Bellersheim befänden sich Geschäftsmodelle im Wandel, werde eine stete Weiterentwicklung angestrebt. Dabei interessiere einen Familienunternehmer wie ihn nicht unbedingt der tagesaktuelle Aktienkurs, sondern vielmehr die Frage, wie man auch in zehn Jahren erfolgreich am Markt bestehen könne.
Landrat Enders ging auf den Fachkräftemangel ein, der erneut im Fokus der Zukunftswerkstatt gestanden hatte. Gerade im ländlichen Raum seien dabei neue Lösungsansätze gefordert. Ein unschätzbarer Vorteil sei hier aber die Wohn- und Lebensqualität, weshalb er durchaus Anzeichen einer „Stadtflucht“ sehe.
Und wie ist die Erwartungshaltung der Studierenden an einen Arbeitsplatz „auf dem Land“? Klar, schnelles Internet oder eine gute Verkehrsinfrastruktur sollten neben betrieblichen Benefits vorhanden sein. Zugleich wird aber die oft enge Verbundenheit und Identifikation der Menschen mit einem Unternehmen (und umgekehrt) gesehen und gewürdigt. Ein Student drückte es so aus: „Man kann hier sehr früh Vertrauen wahrnehmen.“ Was Robert Kebbekus, Leiter der Zukunftswerkstatt, allerdings auch beobachtet: Immer mehr Ältere hätten Schwierigkeiten, mit der Einstellung der jüngeren Kollegen klarzukommen. Und so kam das Gespräch zwangsläufig auf eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich. Für den Landrat angesichts der Demografie im Land eine „Quadratur des Kreises“, und auch Thomas Bellersheim betonte mahnend, dass sich ein produzierendes Land wie Deutschland solch ein Modell schlicht und ergreifend nicht leisten könne. (Quelle Kreis Altenkirchen)