In der Musikkirche präsentieren Opus 45 und Roman Knižka einen virtuosen Blick auf die Verfassung
Westerwaldkreis. Können Paragrafen aufregend sein? Absolut, glauben das Ensemble Opus 45 und der Schauspieler Roman Knižka. In der Musikkirche Ransbach-Baumbach schenken sie dem Grundgesetz zu dessen 75. Geburtstag eine faszinierende Revue und kommentieren kunstvoll-komisch die Verfassung unserer Verfassung.
Die vielen Gäste in der Musikkirche erleben einen abwechslungsreichen Abend mit hochvirtuoser Musik, historischen Berichten und viel Humor – so facettenreich wie die komplexe Geschichte des Grundgesetzes selbst. Knižka beginnt passenderweise im Stile eines Quizshowmoderators, der sein Publikum mit Fragen zum Gesetzestext löchert. Skurril auch die Verhandlung zwischen den Siegermächten und Deutschland: Ein groteskes Puppenspiel mit Wurst, Wodka, Baguette, Teetasse und Hamburger, die über die neue Ordnung nach dem Krieg verhandeln.
Allzu klamaukig gerät die Performance aber nie. Dazu trägt Roman Knižka die Texte zu eindringlich vor – etwa dann, wenn er im fiktiven Zwiegespräch mit Elisabeth Selbert über die Verankerung der Gleichberechtigung der Geschlechter im Gesetzestext streitet. Selberts Engagement ist es zu verdanken, dass der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ heute in Artikel 3, Absatz 2 steht. So weit, so gut. Der Alltag sieht freilich anders aus: Mit Einspielern aus dem Off zeigt das Ensemble, dass die Gleichberechtigung im Alltag immer noch nicht selbstverständlich ist.
Kontraste statt Konsens, Kabarett statt Klamauk: Die Geschichts-Revue in Ransbach-Baumbach bleibt spannend. Besonders, wenn es um die großen Wegmarken geht. Das letzte Drittel des Abends widmen Opus 45 und Roman Knižka der Wiedervereinigung, beziehungsweise: dem Weg dorthin. Der soll damals entweder über Paragraf 23 führen, der die Ausweitung des bisherigen Grundgesetzes auf die DDR vorsah – oder über Paragraf 146 und somit einer neuen gesamtdeutschen Verfassung. Die Wahl fällt auf Paragraf 23. Knižka bewertet die Entscheidung von 1990 nicht. Stattdessen kommentieren die MusikerInnen den Balanceakt mit einer wilden Mischung aus „Wind of Change“ der Scorpions, dem bittersüßen „Der Traum ist aus“ von Rio Reiser und einem Stück, in dem die Nationalhymnen der DDR und der BRD parallel erklingen.
Die Musik ist an diesem Abend eben weit mehr als der Pausenfüller. Die hochvirtuosen Musikerinnen und Musiker von Opus 45 setzen mit Werken von Beethoven, Bach, Tomasi oder David Hasselhoff klangliche Kontraste zu Knižkas Beiträgen und öffnen mit Klängen Ebenen, die selbst die 23.000 Worte des Grundgesetzes nicht erschließen können.
Das Grundgesetz wird 75, und die Geburtstagsfeier endet mit einer Frage, die die Verfassung an uns stellt: „Wir sind hier versammelt und sagen: Wir haben eine gute Verfassung. Aber sind auch wir in einer guten Verfassung?“ Roman Knižka lässt den Satz offen und tritt ab. Die vielen Gäste in der Musikkirche belohnen den Denkanstoß und den aufregenden Abend mit langem Applaus – der sicher nicht nur den Künstlern, sondern auch dem immer noch lebendigen Geburtstagskind gilt. (bon)
Das Konzert wurde durch die „Partnerschaft für Demokratie im Kannenbäckerland“ gefördert. (quelle Evangelisches Dekanat WW)