Schmuckes Instrument wird auch im Gottesdienst gespielt
Westerwaldkreis. Das Harmonium hat seine besten Jahre hinter sich: Ende des 19. Jahrhunderts galt es in vielen kleineren Kirchen als günstige, mobile und wartungsfreundliche Alternative zur großen Orgel. Heute haben die meisten Gotteshäuser eine „richtige“ Orgel und ein elektronisches Keyboard, wenn’s mal mobil sein soll. Schade eigentlich. Denn ein gut erhaltenes Harmonium ist ein charmantes Schmuckkästchen. Zum Beispiel das hübsche Exemplar in der Evangelischen Kirche Nordhofen, das dort bald seinen zweiten Frühling erlebt.
Das Instrument des Herstellers „Mannborg“ erinnert an ein Möbelstück: Das geschwungene, matt lackierte Holzgehäuse, die vornehm-altweißen Tasten und die Registerzüge mit Klangfarben wie „Schalmei“, „Melodia“ oder „Viola dolce“ verströmen heimeliges Biedermeier-Flair. Der Klang schimmert in warmer Nostalgie, malt Bilder von Hausmusik am Kamin, von Gemeindestunden und alten Dorfschulen. Das Instrument scheint zu leben: es knarzt, säuselt, atmet. Und zwar im wahrsten Wortsinn. Denn der Spieler – in diesem Fall der Mogendorfer Eberhard Ströder, der seit 56 Jahren in der Gemeinde die Orgel spielt und außerdem Kirchenvorstandsmitglied ist – haut nicht nur in die Tasten, sondern bedient die „Lunge“ des Harmoniums mit den Füßen: „Im Innern des Instruments befinden sich ein Balg und sogenannte Zungen, wie bei einer Mundharmonika“, erkärt Kirchenvorstandsmitglied Guido Thabe, der als gelernter Orgelbauer ein Mann vom Fach ist. „Wenn diese Zungen durch Wind zum Schwingen gebracht werden, entsteht ein Ton, der an den eines Akkordeons erinnert.“
Damit der Wind weht, muss der Spieler allerdings stetig in die beiden Pedale treten, die einen Balg mit Luft befüllen. Das klingt nach richtig viel Arbeit für den Organisten. „Es ist gar nicht so einfach, mit den Händen einen Choral zu spielen und mit den Füßen in einem anderen Tempo die Pedale zu bedienen“, sagt Eberhard Ströder.
Aber das System hat einen großen Vorteil gegenüber einer modernen Orgel oder einem elektronischen Keyboard: Es kommt komplett ohne Strom aus. Und das war auch der Grund, warum das Harmonium nun im Westerwald eine neue Heimat gefunden hat. „Vor einigen Wochen hat das Dekanat Westerwald eine Waldandacht bei Bad Marienberg gefeiert – und dafür haben wir nach einem mobilen Instrument gesucht, das sich ohne Verstärkung unter freiem Himmel einsetzen lässt“, erinnert sich Guido Thabe. Nach einiger Recherche in einem Kleinanzeigenportal wurde er fündig und entdeckte das Harmonium bei einem Anbieter aus Hessen. „Der Verkäufer wollte so gut wie nichts dafür haben. Er war froh, dass es für einen guten Zweck eingesetzt wird und hat es uns sogar noch angeliefert“, sagt Thabe. 20 Stunden Arbeitszeit hat der Orgelbauer in die Reparatur des knapp 100 Kilogramm schweren Instruments gesteckt. „So viel musste ich gar nicht dran machen“, meint er. „Ich habe das Hauptventil erneuert, einige Zungen gereinigt, das Holz etwas aufpoliert und schließlich noch einen Transportwagen für das gute Stück gebaut.“
Ein überschaubarer Aufwand für ein schönes Stück, das nicht nur unter freiem Himmel eine gute Figur macht: Demnächst soll es auch regelmäßig in der Nordhofener Kirche eingesetzt werden. „Dort stehen Sanierungsarbeiten an. Die große Orgel wird währenddessen zum Schutz zugedeckt“, sagt Eberhard Ströder. Ein unerwartetes Comeback für das alte, neue Harmonium. „Klar – nichts geht über eine schöne, große Kirchenorgel“, gibt Eberhard Ströder zu. „Aber in der kleinen Kiste steckt immer noch ´ne Mords-Musik drin!“ (bon)
Die offizielle Übergabe des Harmoniums an die Kirchengemeinde findet während des Gottesdienstes in der Evangelischen Kirche Nordhofen am 14. November um 10 Uhr statt. (Quelle Evangelisches Dekanat WW)